Früher war alles besser, sagt man. Das ist natürlich Unsinn, … obwohl … alt werden war früher wohl tatsächlich weniger geschmäht. Heute ist es ein Stigma.
Nicht nur, dass man sich heute, besonders als Frau, fast schon schämen muss, wenn man einfach nur vor sich hin altert und diesen biologischen Vorgang nicht mit disziplinierten Fitnessübungen, strengen Diäten, kosmetischen Eingriffen und vorteilhafter Kleidung im Außen verbirgt … man wird auch noch als „Boomer“ verunglimpft, einst nur eine neutrale Bezeichnung für die geburtenstarken Jahrgänge der 60er, heute ein Schimpfwort für die Altersklasse, deren Meinung nichts mehr zählt, die staatlich bevormundet wird, wie Kleinkinder, in Sachen Gesundheitsvorsorge, die besonders in den Medien als verzichtbare Bevölkerungsgruppe dargestellt wird, die Autounfälle verursacht und das Sozialsystem mit Rentenansprüchen belastet. Irgendwie hatte ich mir das einmal anders vorgestellt, aber in der schönen neuen Welt haben Alte offensichtlich keinen Platz mehr, sie sollten sich lieber still verhalten und über ihre Fehler nachdenken.
Ihr werdet euch noch umschauen, wenn wir Babyboomer wirklich einmal den Löffel abgeben, wenn dann flächendeckend auffällt, was wir an positiven oder zumindest angenehmen Beiträgen für die Gesellschaft leisteten. Zum Beispiel halten wir einen großen Teil der sozialen Projekte für Mensch, Tier und Umwelt durch unsere Spenden am Leben.
Ab dem mittleren Lebensalter steigt die Spendenbereitschaft und die durchschnittliche Höhe der Spenden. Am höchsten sind beide bei Menschen über 65 Jahre. Hier liegt die Quote bei über 50% und die durchschnittliche Spendenhöhe bei über 250 Euro. Das liegt daran, dass wir über die Jahrzehnte gespart haben und nun im Alter gerne großzügig weitergeben. Ohne unsere Spenden wird es düster aussehen, gerade dort, wo Menschen auf Hilfe angewiesen sind.
Ohne uns Babyboomer wird die Wartezeit auf einen Handwerker oder Friseurtermin vermutlich nicht nur Wochen sondern Monate betragen, wenn ihr überhaupt einen findet, der bezahlbar ist. Angebot und Nachfrage. Die Generationen nach uns wollten sich ungern die Hände schmutzig machen, sie wählten bevorzugt andere Berufe und setzten auf Studiengänge. In einer Studie zur Erwerbstätigkeit aus diesem Jahr schreibt das Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (KOFA), dass derzeit fast jede vierte Fachkraft in Deutschland über 55 Jahre alt ist. Bald werden sie in die wohlverdiente Rente gehen. Glaubt mir, ihr werdet die Babyboomer noch vermissen
Auch im Ehrenamt sind wir überproportional engagiert, unsere Generation ist in der häuslichen Pflege Angehöriger, mit Betreuungsaufgaben und anderen sozialen Aktivitäten sehr aktiv und übernimmt viele gesellschaftliche Aufgaben, die der Staat nicht leisten kann … oder will … weil er sie für verzichtbar hält, wie den Tierschutz zum Beispiel. Wir setzen die erworbenen Fähigkeiten gerne für andere ein.
Last not least, konsumieren wir auch gerne. Die Konsumausgaben der 55- bis 65-Jährigen sind mit 2.600 Euro etwas höher als der Gesamtdurchschnitt. Das erzeugt viel Neid, wobei man bitte nicht vergessen sollte, dass wir mit ganz anderen Ansprüchen aufwuchsen, als die heutigen Generationen.
Wir waren bescheidener, begannen früher zu arbeiten, hatten weniger Optionen zu reisen, weniger Gelegenheiten Geld auszugeben … aber auch mehr Chancen, Existenzen aufzubauen und Vermögen anzusparen. Jetzt möchten wir gerne etwas davon ausgeben, ehe wir das nicht mehr können. Auf vieles, was heute selbstverständlich ist, mussten wir Boomer lange warten und hinsparen. Unser Konsum ist ein enormer Faktor für die Wirtschaft. Wenn unsere Kaufkraft einmal fehlt, werden das viele ungut bemerken.
Ich bin eine der unzähligen BoomerINNEN und mir geht die Respektlosigkeit und Abwertung ordentlich gegen den Strich, die meiner Altersklasse pauschal entgegen gebracht wird, obwohl wir doch den Umweltschutz erfunden haben.
Es waren die Boomer, die als erste für saubere Flüsse, gesunde Wälder und Tierschutz auf die Straße gingen, für Menschenrechte und Frieden, es waren die Boomer, die sich dafür als Freaks beschimpfen ließen und trotzdem eisern an ihre Träume von einer besseren Welt glaubten.
Rückblickend denke ich, wir hätten damals in Sachen Erziehung ein wenig mehr Augenmerk auf Respekt und Anstand legen sollen, vielleicht ein wenig mehr in Bildung investieren, auf die Vermittlung von Wissen und praktischen Fähigkeiten in den Schulen und Universitäten, anstatt dort den Schwerpunkt auf Selbstfindung, Selbstverwirklichung und Gesinnung zu legen. Aber hey, nobody ist perfect
Jetzt müssen wir alle damit leben. Alle Generationen. Trotzdem denke ich : Ihr werdet uns noch ordentlich vermissen
Hier sprichst Du bestimmt vielen aus dem Herzen! Man kommt sich ja schon vor, als hätte man keine Daseinsberechtigung mehr, nur weil man alt wird.
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